Quali-Net O.: Patienten sollen nicht ausbaden, was Politik verbrochen hat
Mit groß angelegten Aktionen bis hin zu Streikmaßnahmen mit Praxis-Schließungen protestieren in dieser Woche bundesweit die niedergelassenen Haus- und Fachärzte gegen die ihrer Ansicht nach nicht mehr länger hinnehmbaren Auswirkungen der zu Jahresbeginn in Kraft getreten Gesundheitsreform. „Im Rahmen unserer jüngsten Vollversammlung und Vorstandssitzung haben wir beschlossen, unsere Praxen nicht zu schließen. Die Patienten sollen nicht das ausbaden müssen, was die Politik verbrochen hat“, betonte jetzt Dr. Tilmann Kornadt, fachärztlicher Vorstands-Vorsitzender des „Quali-Net O.“, dem 2005 gegründeten Qualitätsnetz Oberhausener Ärzte e.V. „Unsere Mitglieder werden ihre Patienten über die näheren Hintergründe des Protestes in Form von Handzetteln informieren, ferner wollen wir die zahlreichen künftigen Wahlkampfveranstaltungen der Parteien dazu nutzen, um sowohl mit den Politikern als auch den Wählern persönlich ins Gespräch zu kommen.“
Keinen Zweifel lässt Dr. Kornadt daran, dass die neuen Krankenkassen-Honorare auch Oberhausener Mediziner in ihrer Existenz bedrohen. „Ein Hausarzt bekommt je Kassenpatient monatlich 12,52 Euro, ein Urologe 8,61 Euro – auch, wenn der Erkrankte häufige oder aufwändige Behandlungen in der Praxis benötigt. Davon lassen sich die Betriebskosten, zu denen vorrangig die Miete der Räumlichkeiten und die Personalgehälter zählen, nicht bestreiten.“ Diese Pauschalität beeinträchtige die Qualität der medizinischen Versorgung massiv, weil eine intensive Betreuung zum Beispiel chronisch Erkrankter nicht mehr möglich sei. In allgemein wirtschaftlich schwierigen Zeiten gehe es den Ärzten sicher nicht darum, Mitleid für einen Berufsstand zu wecken, der verglichen mit anderen immer noch gut dastehe. „Aber: Wenn es hier nicht generell, und zwar in kurzer Zeit, zu Korrekturen seitens des Gesetzgebers und damit einer Aufstockung der verbindlichen Honorare durch die Krankenkassen kommt, droht ein Flächenbrand“, so Dr. Ulrich Kröll, Vorstandsmitglied im „Quali-Net O.“ Und dies sei buchstäblich zu nehmen: „Die wohnortnahe medizinische Versorgung ist gefährdet, wenn für frei werdende Praxen aufgrund der widrigen Rahmenbedingungen keine Nachfolger zu finden sind.“
Auch volkswirtschaftlich betrachtet ist nach Ansicht von Dr. Kornadt Gefahr im Verzug: Die durchschnittliche Wartezeit für einen Arzttermin – von dringenden Fällen abgesehen – betrage bereits drei Monate. „Aufgrund dieser Terminverzögerungen bezüglich der Diagnostik und Behandlung bei Fachärzten kommt es immer häufiger zu längerfristigen, oftmals unnötigen Krankschreibungen.“ Die Mediziner müssten sich bei ihren Planungen aber verstärkt um ihre Privatpatienten kümmern, „denn würden wir dies nicht tun, wären viele Ärzte schon längst insolvent“. Die Folgen seien die bereits angesprochene Verschlechterung der lokalen ärztlichen Versorgung für die Patienten sowie der Verlust von Arbeitsplätzen (Sprechstundenhilfen etc.).
Um diesem Trend entgegen zu steuern, hätten in einigen Bundesländern gesetzliche Krankenkassen spezielle Rahmenabkommen mit den Haus- und Fachärzten zu lukrativeren Konditionen abgeschlossen. „Diese Mehrklassen-Medizin lehnen wir ab. Es darf nicht sein, dass in einem Sozialstaat wie der Bundesrepublik Deutschland Privatversicherte Patienten erster Klasse und gesetzlich Krankenversicherte ausgesuchter Krankenkassen zweiter Klasse sind – und alle übrigen zu Patienten dritter Klasse degradiert werden“, so der „Quali-Net O.“-Vorstandsvorsitzende.
Die konkreten Forderungen lauten:
- Schluss mit der aktuellen patienten- und ärztefeindlichen Gesundheitspolitik
- Schluss mit der Überbürokratisierung und mehr Zeit für die Patientenversorgung
- Schluss mit der Budgetierung im Gesundheitswesen – die Patienten haben Anspruch auf eine moderne, bestmögliche Versorgung
- Schluss mit der Entmündigung der Bürger, die stattdessen über Art und Umfang ihrer Gesundheitsversorgung selbst entscheiden sollen
- Schluss mit der inzwischen 30-prozentigen Unterfinanzierung ärztlicher Tätigkeiten
Dr. Kornadt abschließend: „Wir fordern die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel auf, auch im Bereich der Gesundheitspolitik von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen und die dringend erforderlichen Korrekturen einzuleiten!“